„Wer Tiere liebt, sollte sie essen“ – Essay des Anthropozentrismus

„Eine Welt voller Vegetarier wäre keine gute. Denn wer Leid verhindert, indem er Leben verhindert, verhindert auch Glück.“

In einem jüngst durch die „Süddeutsche Zeitung“ abgedruckten Essay – verfasst von Christina Berndt – gibt die Autorin ihre abstrusen, mit Widersprüchlichkeiten, Fehl-Konklusionen und fragwürdigen Philosophien gespickten Ansinnen bezüglich der vermeintlichen Notwendigkeit des Verzehres von Tieren zum Besten.

Einleitend konstatiert Berndt, dass Tiere „wunderbar“ seien, sie über ein großes Gefühlsspektrum verfügen würden und man ihnen „möglichst kein Leid antun“ dürfe. Sie begrüßt indes, dass sich in Deutschland „eine große Tierliebe“ breit mache.

Ein nicht unerheblicher Teil der Gesellschaft ernähre sich aus vornehmlich empathischer Motivation heraus mittlerweile vegetarisch oder vegan. Berndt stellt fest, dass ebendiese Menschen, welche dem Karnismus abgeschworen hätten, ihre „moralische Überlegenheit“ des Öfteren ungefragt kundtäten.

Der Veganismus zielt darauf ab, mit der menschlichen, unreflektierten Einverleibung von tierischem Leben und ökologischer Balance zu brechen und Wertschätzung und Respekt gegenüber allen Erdlingen zu nähren und kompromisslos und über jeden Tellerrand hinweg zu manifestieren. Auch wirkt er der aktuellen extensiven Verschwendung von kalorischen Werten entgegen, welche u.a. den Welthunger mitzuverantworten hat.

Tierliebe kann und solle sogar „durch den Magen gehen“, vorausgesetzt, „man isst nur Tiere, die zuvor ziemlich glücklich waren.“ so Berndt. „Ziemlich glücklich“ – eine minderdefinierte Begrifflichkeit, deren Bedeutung sich flexibel und beliebig ausrichten lässt – je nach Agenda. Fraglich ist, wie diese Massen an Lebewesen, welche täglich produziert, geschlachtet und konsumiert werden, in artgerechten, lebensqualitäts- und damit glücksbringenden Haltungs-Strukturen gezogen und beherbergt werden sollen – fernab jedes Profitgedankens.

Der rasante Anstieg an Vegetarier:innen und Veganer:innen bedrohe die Nutztierbestände des Landes: „Es wäre vor allem eine traurige Welt“, die uns bevorstehe: „Es gäbe kaum noch Nutztiere, die man bewundern und streicheln und denen man in die Kulleraugen sehen kann“. Ihre Existenz resultiere ausschließlich aus dem menschlichen Bedarf nach jenen Produkten, welche man aus ihnen verarbeiten könne.

Eine ernsthafte Bedrohung für die „Nutz“tierindustrie stellt der leider noch überschaubare Anteil an vegetarisch und vegan lebenden und speisenden Menschen (Deutschland zählt rund 7,5 Mio. Vegetarier:innen und 1,4 Mio. Veganer:innen) keinesfalls dar. Die von der Autorin befürchteten, vermeintlich „fatalistischen Auswüchse“ des sich von Tierleid distanzierenden Lebenskonzeptes entbehren jeder Verhältnismäßigkeit.  

Dass die meist von undurchdringbaren Mauern und Gittern umgebene „Welt“ der „Nutz“tiere, welche mitunter zum Zwecke des menschlichen Hedonismus gezüchtet werden und in ihrem viel zu kurzen, an die industrielle Maschinerie angepassten Leben unermessliches und nahezu konstantes Leid erfahren, eine mehr als traurige ist, scheint die Autorin vollends außer Acht zu lassen. Den anthropozentrischen Kern ihrer Befürchtungen offenbart Berndt mit ihrer realitätsverzerrenden Sorge um die Präsenz und Zugänglichkeit von kulleräugigen „Nutz“tieren, welchen aus ihrer Sicht menschliche Bewunderung und liebevolle Aufmerksamkeit zuteil würde – wovon vor allem – ganz im Sinne des anthropozentrischen Grundgedankens – der Mensch profitiere.

Anstatt mit Bewunderung und Streicheleinheiten sehen sich „Nutz“tiere wie bspw. Kühe, Schweine und Hühner tagtäglich mit der unerbittlichen, krankmachenden und tödlichen Kälte der Milch-, Eier- und Fleisch-Industrie konfrontiert. Jene verkannten Individuen, welche in den fantastischen Spinnereien der Autorin getätschelt und ihrer großen Augen wegen betüddelt würden, fristen in den Untiefen der Tierindustrie ein qualvolles, in der Regel durch medikamentöse Einflüsse künstlich erhaltenes Dasein – fernab der angeblich sehnsuchtsvollen Blicke von „Streichelwütigen“.

„Würden sich alle Menschen rein pflanzlich ernähren, dann bräuchte man all diese Tiere nicht. Man würde sie konsequenterweise auch nicht mehr züchten. Nirgendwo träfe man dann noch auf ein Schaf. Statt bei der Familientour im E-Auto „Guck mal, da sind Kälbchen!“ zu rufen, würde man an tristen Wiesen vorbeifahren, auf denen Sonnenkollektoren stehen.“

Solche Rufe werden hierzulande kaum ertönen, wenn Familien Weiden und Wiesen kreuzen, stehen Kälbchen – als „Abfallprodukte der Milchindustrie“ in der Regel von Mutter und Herde separiert vor Stallungen in engen, tristen Kälber-Iglus, aus welchen sie verzweifelt nach ihrer Mutter schreien, während diese gezwungen ist, die eigens für ihren Nachwuchs vorgesehene Muttermilch in täglichen Melk-Einheiten in die Tanks der menschlichen Nutznießer zu spülen.

„Trist“ sind viele Wiesen und andere Natur-Elemente durchaus, dies lässt sich nicht in Abrede stellen - und zwar nicht zuletzt aufgrund von monokulturellen Anbau-Strukturen, auf die Fleisch- und Milchindustrie zurückzuführenden Emissionsraten und mit Dünger getränkten Böden. Massen an Acker-Gut wandert in die Futtertröge der „Nutz“tiere. Das globale Artensterben schreitet in bedrohlicher Geschwindigkeit voran - und der Fleischkonsum trägt gegenwärtig einen beachtlichen Anteil daran. Wer um eine tierleere Erde bangt, der sollte vor allem um jene ökologisch unverzichtbaren Akteure bangen, welche sukzessive aus ihren Lebensräumen verdrängt werden, um genug Flächen-Kapazität für die Produktion von tierischen Konsumgütern zu generieren.

„Man kann keine Kühe halten, um sie lediglich zu melken. Kühe geben Milch nur dann, wenn sie Kälbchen bekommen. Kälbchen geben nur dann wieder selbst Milch, wenn es Weibchen sind. Die kleinen Bullen müssen irgendwo hin.“ Eine schlüssige Land- bzw. Tierwirtschaft sei, so liest es sich, nur mit einer fleischkonsumierenden Gesellschaft möglich.

Berndt bringt die Kausalität hinsichtlich der klimatischen Erd-Gebrechen im Zusammenhang mit dem Konsum tierischer Produkte zur Sprache – wiegt diese allerdings mit dem drohenden Verlust von „Nutz“tier-Beständen auf – lediglich eine Drosselung des Fleischkonsums sei vonnöten, um der Problematik Herr zu werden. „Aber gar keine Tiere mehr zu essen, würde eben heißen, dass man auch gar keine mehr bräuchte. Überdauern würden dann allenfalls noch ein paar Exemplare in Streichelzoos oder in der Dauerausstellung „So wars mal auf dem Bauernhof“.

Was man vor allem nicht mehr „bräuchte“, sollte die Veganisierung weiter voranschreiten, wären in ihrer Physiologie adaptierte, außerhalb industrieller Strukturen nicht überlebensfähige, unter der Last ihres eigenen Muskelgewebes zusammenbrechende – und durch die zum Bersten gefüllten, übergroßen Euter schmerzgeplagte und dauerkranke Geschöpfe, deren Gesundheit und Wohlergehen förmlich „abgezüchtet“ wurde. Geschöpfe, die nurmehr als perfekt geformtes Produkt einer ausbeuterischen Maschinerie fungieren. Geschöpfe, die in ihren Bedürfnissen und ihrer Körperlichkeit systematisch missachtet werden. “Nutz”tiere werden u.a. betäubungslos enthornt, ihre Schwänze werden kupiert, damit sie möglichst wirtschaftlich gehalten und ausgebeutet werden zu können.

Auch Lebewesen, die für den Menschen nicht von wirtschaftlichem Interesse sind, haben eine, nicht durch den Menschen willkürlich limitierte Existenzberechtigung, von welcher sie, in Gesundheit und natürlich getakteter Reproduktions-Abfolge, Gebrauch machen dürfen. Sie müssen dafür weder von einer Spezies, die sich die „Krone der Schöpfung“ schimpft, „gebraucht“, noch gezüchtet werden.

„Wenn viele Menschen Vegetarier oder Veganer würden, wäre es das größte Desaster, das es für Tiere je gab, seit ein Asteroideneinschlag die Dinosaurier und viele andere Arten ausgerottet hat.“

Christina Berndt stützt sich in ihrer These u.a. auf utilitaristisch gefärbte Aussagen des britischen Philosophen Nick Zangwill, nach dessen Auffassung „es eine moralische Pflicht“ sei, „Fleisch zu essen“ - zumindest von glücklichen Tieren. „Vegetarier und Veganer – sie sind so etwas wie die natürlichen Feinde all jener Tiere, die gezüchtet werden, um gegessen zu werden. Denn sie verhindern deren Leben.“ – ein Tenor, welcher sich auch in der Headline von Berndts Essay widerspiegelt: „Denn wer Leid verhindert, indem er Leben verhindert, verhindert auch Glück.“ Etwa 763 Millionen Tiere leben und sterben jährlich in der deutschen Massentierhaltung (Stand 2019) – Ihr Unglück beginnt bereits mit ihrer Geburt und endet mit ihrer frühen, oft fehlausgeführten Schlachtung. Keine der vielen tierquälerischen Produktions-Ketten, welche die züchterisch pervertierten Tiere durchlaufen müssen, ehe ihre zerteilten Körper in der Kühltheke, oder Eier und Milch – in Reinform oder verarbeitet – im Supermarkt-Regal landen, erfüllt sie mit „Glück“, ja nicht einmal mit einem Mindestmaß an Lebensqualität. Indizierend sind hier diverse Verhaltensstörung wie stereotype Bewegungs-Muster, Autoaggression und sogar kannibalistische Tendenzen, welche „Nutz“tiere nicht selten im Laufe ihres kurzen Lebens entwickeln, zu nennen, die auf einen eklatanten, konstanten und systembedingten Leidensdruck schließen lassen.

„Für Nutztiere ist es von Vorteil, dass Menschen sie essen. Denn wenn Menschen sie nicht mehr äßen, würden sie teuer dafür bezahlen: mit ihrer Existenz auf Erden“, so Berndt weiter im Text.

Als sich der vegetarischen oder veganen Lebensweise verschriebener Mensch, gehe man per se davon aus, dass Tiere lieber auf ihr Leben verzichten würden, als „punktuelles Leid“ zu ertragen. „Natur bedeutet einen unbedingten Lebenswillen. Man kann deshalb davon ausgehen, dass auch ein Tier gerne Leben will, ganz gleich, welch früher Tod ihm schon bei der Geburt beschieden sein mag.“ Eben aus diesem Naturgesetz, nämlich dem „unbedingten Lebenswillen“, der im Übrigen keinesfalls auf die menschliche Spezies beschränkt ist, resultiert das konstant empfundene Leid der „Nutz“tiere, die in der Industrie-Hölle vegetierend, jeden Tag um Leib und Leben fürchten müssen - deformiert, schmerzgeplagt, lebensunfähig und der menschlichen Gier und Impulsivität ausgeliefert. Tierschutzskandale in Produktions- und Schlachtstätten sind nicht die Ausnahme, sondern vielmehr die Regel.

Berndt räumt ein, dass ein qualvolles Leben innerhalb der rein nach ökonomischen Belangen und maximaler Effizienz ausgestalteten Super-Stallungen, welche mehrere Tausend, Zehntausend, Hunderttausend Tiere fassen, „wohl nicht erstrebenswert“ sei.  „Auf die Lebensqualität kommt es an“ – man solle daher „keine misshandelten Tiere essen“, so Berndt.

Nur etwa jeder zehnte tierhaltende Betrieb in Deutschland wirtschaftet ökologisch und produziert tierische Bio-Produkte – wo sollen sie also alle herkommen, die „glücklichen“ Schnitzel, Braten und Würste? Auch darf nicht außer Acht gelassen werden, dass ebenso Bio-zertifizierte Tiere innerhalb der so „grünen“ Produktions-Strukturen von skandalträchtigen, tierquälerischen Machenschaften per se nicht gefeit sind.

Ein jedes Lebewesen, das emotions- und leidensfähig ist, fürchtet den Tod und ist bestrebt, wenn auch oft eher auf instinktiver, als auf bewusstseinsbasierter Ebene, sein höchstes Gut – das Leben – um jeden Preis zu erhalten. „Glückliche“ Tiere – welche man in den gängigen Haltungssystemen ohnehin vergeblich sucht - bilden da keine Ausnahme. Sie kompensieren, angesichts des Todes, jene Angst, die sie in ihren Grundfesten erschüttert, nicht mit freudvollen Erinnerungen an saftige Wiesen, wohltuende Schlammbäder und schmackhaftes Futter. Sie erfahren Unbehagen, welches in Todesangst gipfeln kann, wenn sie registrieren, was ihnen bevorsteht. Sie leiden Todesqualen, wenn sie in unterirdischen Gondeln vergast werden, oder andere Betäubungs-Praktiken ihr Ziel verfehlen, sie bei vollem Bewusstsein ihre Schlachtung erleben - was nachweislich regelmäßig – aufgrund von menschlichem oder maschinellem Versagen - vorkommt.  

Wie erstrebenswert kann so ein Leben sein, um dessen Erhaltung das sogenannte „Nutz“tier permanent fürchten und dessen basale Ansprüche wie Bewegung, kognitive Auslastung und natürliche Interaktion nicht befriedigt werden können. Ein Leben in Abhängigkeit von einem System, welches das Individuum entwertet, modifiziert, ausbeutet und auf seine ökonomische „Effizienz“ reduziert.

Anders, als Christine Berndt es – unter Einbezug von antiquierten philosophischen Thesen - plausibel darzustellen versucht, kann von einer „symbiotischen“ Mensch-Tier-Beziehung, insbesondere im Kontext der „Nutz“tierhaltung, keinesfalls die Rede sein. Vielmehr muss hier ein eklatantes Missverhältnis zwischen Lebensformen festgestellt werden, welches auf durch und durch anthropozentrischen Intentionen fußt. Die Autorin fungiert in ihrem Essay als Sprachrohr für Karnist:innen, welche ihre kulinarischen Präferenzen mit realitätsverweigernden Thesen und ignoranten Fehl-Konklusionen zu legitimieren versuchen.

„Das Mindeste, was wir Schlachttieren schulden, ist ein Leben vor dem Tod.“ – sagte einst ein Metzger und Biolandwirt. Meinte er mit „Leben“ die reine Existenz?

Aus tierethischer Sicht ist das Mindeste, was wir einem Tier schulden, ein annähernd selbstbestimmtes und vor allem bedingungsloses Leben – ein Leben fernab von wirtschaftlichen Begehrlichkeiten, züchterischen und geschlechterspezifischen Selektionen und industriellen Zwängen.

Wer Tiere liebt, respektiert und schätzt, sollte sie keinesfalls essen – denn Mitleid ist zu wenig!

Quellen:

Tierwohl, Vegetarier und Veganer: Wer Tiere liebt, sollte sie essen - Gesellschaft - SZ.de (sueddeutsche.de)

Massentierhaltung: Hintergrundinformationen (albert-schweitzer-stiftung.de)

Masthühner in der Massentierhaltung (albert-schweitzer-stiftung.de)

Qualzucht im Fokus: Die Milchkuh - WTG | Welttierschutzgesellschaft

17.06.20: Bundesregierung berichtet zum Schwänzekupieren bei Schweinen (tierschutzbund.de)

Warum Kühe Hörner brauchen - SWR2

Fleischkonsum Hauptgrund für Artensterben ⋆ CleanEnergy Project (cleanenergy-project.de)

Artensterben | Umweltinstitut München

Das Leid der sogenannten „Nutztiere“ – tierrechte.de – menschen für tierrechte – bundesverband der tierversuchsgegner e.v.

Lebenseinstellung - Vegetarier in Deutschland 2020 | Statista

Anzahl der Veganer in Deutschland 2020 | Statista

Mästen, schlachten, essen: Unser Umgang mit Nutztieren (br.de)

Fleischkonsum und die katastrophalen Auswirkungen auf unser Klima (energie-klimaschutz.de)

Zahl der Betriebe mit ökologischer Tierhaltung um 41% gestiegen - Statistisches Bundesamt (destatis.de)

Welthunger und der Fleischkonsum - Life for Nature - eine Stiftung für Tierschutz, Natur und Umwelt